Tagesspiegel vom 23.06.2023

„Die Energiewende wird ohne Jobs vor Ort nicht funktionieren“

Markus Krebber

Tagesspiegel: Herr Krebber, Sie sind seit gut zwei Jahren Vorstandschef von RWE, dem größten deutschen Energiekonzern. Um wie viele Jahre sind sie gealtert in dieser Zeit?

Markus Krebber: Ich hoffe, dass ich nur um zwei Jahre gealtert bin. Aber Sie haben recht: Es fühlt sich sehr viel länger an. RWE verfolgt eine neue Strategie, die vollständig auf grünes Wachstum setzt. Wir haben den Kohleausstieg um acht Jahre auf 2030 vorgezogen. Außerdem haben wir unsere Erneuerbaren-Position in den USA mit einer knapp Sechs-Milliarden-Euro-Akquisition deutlich gestärkt. Und: das ganze Krisenmanagement seit dem russischen Überfall.

Tagesspiegel: Hat Deutschland das Wegbrechen der russischen Gasimporte insgesamt vernünftig bewältigt?

Markus Krebber: Wir können zufrieden sein. Wir haben vieles richtig gemacht und dazu Glück gehabt. Die Gasversorgung wurde in guter europäischer Koordination schnell diversifiziert und Infrastruktur für den Import von flüssigem Erdgas, also LNG, aufgebaut. Alle fossilen Kraftwerke, die noch verfügbar waren, wurden zügig wieder in Betrieb genommen. Obendrauf kam ein relativ milder Winter. Aber wir müssen uns natürlich darauf einstellen, dass die Anspannung weiter anhält. Und das ist meine größte Sorge derzeit: Wir haben im Energiesystem, weder beim Strom noch beim Gas, nennenswerte Reserven.

Tagesspiegel: Meinen Sie die Stromerzeugung, meinen Sie die Netze, meinen sie die Gasflüsse?

Markus Krebber: In Europa haben wir kaum noch Reserven bei der Stromerzeugung. Es gibt schlicht nicht genug jederzeit einsatzfähige Kraftwerke. Beim Gas ist die Infrastruktur kritisch. Beim Ausfall einer großen wichtigen Pipeline, zum Beispiel aus Norwegen, hätten wir gleich ein Riesenproblem. Auch ein extrem kalter Winter kann zu Problemen führen. Man darf ein Energiesystem nicht auf Kante nähen.

Tagesspiegel: Das ändert sich doch jetzt aber schnell, ein LNG-Terminal nach dem anderen geht in Betrieb.

Markus Krebber: Nun ja, lange Zeit wurde von der neuen „LNG-Geschwindigkeit“ gesprochen, die als Vorbild für andere Infrastrukturprojekte dienen sollte. Jetzt kommt auch dort wieder Sand ins Getriebe. Insgesamt liegt der LNG-Zubau hinter den ursprünglichen Plänen.

Tagesspiegel: Die überdimensioniert sind. Insbesondere das Terminal in Lubmin, bei dem Sie allerdings nicht mehr aktiv sind, steht in der Kritik.

Markus Krebber: Aus meiner Sicht sind sie nicht überdimensioniert. Deutschland muss auch Österreich und Teile Osteuropas mitversorgen können. Lubmin ist zudem ein sehr sinnvoller Standort und trägt viel zur Versorgungssicherheit speziell in Ostdeutschland bei. Denn das Gas kann direkt als Ersatz für Nord Stream ins Netz gespeist werden.

Tagesspiegel: Das Wirtschaftsministerium arbeitet gerade an den Regeln, wie die Versorgungssicherheit gewährleistet werden kann durch den Bau sogenannter Backup-Kraftwerke, die bei Stromknappheit einspringen. Insgesamt geht es um gewaltige 25 Gigawatt Leistung, knapp ein Drittel des deutschen Maximalbedarfs an Strom. Was sollte in der Kraftwerksstrategie 2026, die die Ausschreibungsregeln enthalten soll, aus Ihrer Sicht stehen?

Markus Krebber: Erstmal ist wichtig, dass wir schnell Klarheit haben. Der Kohleausstieg 2030 wackelt sofort, wenn wir bis Ende dieses Jahres keine eindeutigen Regeln für neue Anlagen haben. Planung und Bau eines Gas- und Wasserstoffkraftwerks dauern fünf bis sechs Jahre, das wird also eng. Wir brauchen Klarheit bezüglich der Vergütung für diese Kraftwerke, wir brauchen aber auch Klarheit bezüglich des Wasserstoffnetzes und der Umstellungsregeln. Ich kann keinen Kraftwerksstandort aussuchen, wenn ich als Betreiber nicht weiß, wie ich später an H2 komme und wie die Einsatzregeln dafür sind.

Tagesspiegel: Im Wirtschaftsministerium tendiert man momentan zu einem Modell, durch das jede Kilowattstunde vergütet werden soll – man erhofft sich so leichtere Zustimmung bei der Überprüfung in Brüssel, ob das unzulässige Subventionen sind.

Markus Krebber: Ich kann nur davor warnen. Eine Vergütung der Kilowattstunden, die erzeugt werden, wäre vollkommen kontraproduktiv. Diese Kraftwerke sollen möglichst wenig laufen, denn ihr Brennstoff – spätestens mit der Umstellung auf Wasserstoff – ist sehr teuer. Der Anreiz sollte genau gegenteilig sein: Die Anlagen sollten möglichst günstig gebaut werden und nur im Notfall Strom liefern. Also braucht es eine Förderung der Kapazität, nicht der elektrischen Arbeit. Sonst müssen Betreiber etwas machen, was eigentlich schädlich für die Volkswirtschaft ist: Die Anlagen möglichst viel laufen lassen. Das kann auf Dauer nicht funktionieren.

Tagesspiegel: Sie haben in den USA dieses Jahr für gut sechs Milliarden Euro Con Edison Clean Energy Businesses übernommen. Dort wird nun mit dem IRA die Energiewende stark durch Subventionen gefördert. Kann Europa davon lernen?

Markus Krebber: Ich glaube es gibt drei zentrale Unterschiede: Erstens gibt es in den USA Investitionssicherheit für mindestens zehn Jahre, in denen die Regeln nicht infrage gestellt werden. Das ist sehr hilfreich für Investoren. In Europa dagegen weiß man nie, welche Debatten am nächsten Tag geführt werden, die die Regeln auf den Energiemärkte wieder infrage stellen oder anpassen.

Zweitens, das System dort ist unkompliziert, man weiß ganz genau, was man für ein Kilo grünen Wasserstoff oder für eine Kilowattstunde Ökostrom an Förderung bekommt. Und es geht schnell. Hier dagegen sind Regelungen oft kompliziert und langwierig. Wir warten zum Beispiel seit eineinhalb Jahren auf die Bescheidung eines Förderantrags für den größten deutschen Elektrolyseur.

Drittens geben die Amerikaner große Anreize für lokale Wertschöpfung. Das hilft bei der Akzeptanz und sorgt für Sicherheit in der Supply Chain. In Europa konnte man sich da noch nicht auf wirksame Regeln einigen. Die erste Möglichkeit ist, Local Content in der Förderung zu verankern, die zweite Möglichkeit ist, einen Vorteil bei Ausschreibungen zu geben.

Tagesspiegel: Schon wieder eine Überraschung. Wir hätten Sie als Globalisierungsfreund eingeschätzt – und Sie loben indirekte Handelsschranken?

Markus Krebber: Die Energiewende wird ohne lokale Wertschöpfung nicht funktionieren. Die Arbeitsplätze entstehen dabei in der Herstellung und im Bau der Anlagen. Der Betrieb ist dagegen weniger personalintensiv. Wenn Europa mit Wind- und Solarparks vollgestellt wird, ohne dass das in großem Umfang Jobs bringt, wird es schwierig, die Akzeptanz der Bevölkerung zu bekommen.

Tagesspiegel: RWE betreibt in Nordrhein-Westfalen noch Braunkohlekraftwerke. Wollen Sie die Braunkohle vor der geplanten Schließung 2030 loswerden? Sie könnten die weiterhin große Kritik an den Klimasündern hinter sich lassen.

Markus Krebber: Wir haben den Kohleausstieg gerade erst um acht Jahre vorgezogen. 2030 ist Schluss. Wenn die Politik vorher über andere politische Lösung sprechen will, sind wir dafür offen. Einen Verkauf sehe ich dagegen kritisch. Die meisten derer, die dafür infrage kommen könnten, würden die Kraftwerke wie eine Zitrone auspressen wollen. Und kein einziges Problem wäre damit gelöst, im Gegenteil. Wir als großer Arbeitgeber können der sozialen Verantwortung für die Beschäftigten deutlich besser nachkommen. Aus meiner Sicht ist der Verkauf von unliebsamen Assets aus Nachhaltigkeitssicht kontraproduktiv.

Interview: Christian Schaudwet und Jakob Schlandt, © Verlag Der Tagesspiegel GmbH. Alle Rechte vorbehalten.

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